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Die Vermessung der eigenen Welt

Feierabend. Nochmal rausgehen und eine Runde an der Isar drehen, weil es einfach immer gut tut. Außerdem „muss“ ich heute noch 4320 Schritte gehen, um auf die täglichen 10.000 zu kommen. Und davor noch 300ml Wasser trinken, denn meine Trink-App sagt mir, dass ich heute erst 1,7 Liter getrunken habe. Abends dann noch ein paar Seiten im aktuellen Roman lesen - der ist richtig Klasse, so dass ich jede freie Minuten zum Lesen nutze. Dies unterstreicht auch die Lesestatistik meines eReaders: Durchschnittlich 67 Minuten lese ich momentan pro Tag, statt wie normalerweise 43 Minuten. Kurz bevor ich das Haus verlasse poppt noch eine Meldung von runtastic auf, die mich dazu ermuntert, mal wieder laufen zu gehen. Ein Blick auf die Übersicht zeigt, dass ich in diesem Monat 25 km gelaufen bin, in den Monaten zuvor waren es meist mindestens 40 km.

Die Vermessung der eigenen Welt ist durch die Digitalisierung ganz einfach geworden, unzählige Apps wie z.B. StepZ, runtastic, Trinkwecker, unterstützen uns dabei. Wir können festhalten, was wir essen, wie unser Gewicht schwankt, wie lange und wie schnell wir wohin mit dem Auto gefahren sind, wie viel wir trinken, wie weit wir gehen oder laufen und wie viele Kalorien wir dabei verbrauchen. Wir können nachschauen welche Musik wir am häufigsten hören. Wir können Bücher-Archive anlegen und ermitteln ob wir in diesem Jahr mehr oder weniger lesen als im Vorjahr. Die Liste könnte endlos sein. Doch warum tun wir das, das eigene Leben in Statistiken verpacken?

In der Regel sind es zwei Aspekte, wobei einer eher unbewusst abläuft. Ganz gezielt und bewusst machen wir es, weil solche Statistiken eine große Unterstützung sein können, z.B. wenn man eine neue Gewohnheit aufbauen will. Hat man sich beispielsweise vorgenommen, täglich 2 Liter Wasser zu trinken, ist es hilfreich, sich eine Weile von einer App ans Trinken erinnern und die jeweils getrunkene Menge mitzählen zu lassen. Die Daten zeigen auf, wann es gut funktioniert und unter welchen Umständen, es nicht so gut klappt, um dann entsprechend Maßnahmen ergreifen zu können. Und sie können eine wunderbare Motivation sein, weil es einfach Spaß macht, die Erfolge abzulesen, Kilometer und Buchseiten zu sammeln. Wer mit dem inneren Schweinehund kämpft ob er laufen gehen soll oder nicht, den kann der Blick auf die Kilometer-Übersicht den nötigen Motivationsschub geben.

Neben diesen Gründen spielt bei der Vermessung unseres Lebens auch eine große Rolle, dass dadurch ein wichtiges psychologisches Grundbedürfnis befriedigt wird: das Bedürfnis nach Kontrolle. Vielen tut es einfach gut, einen Überblick über das eigene Leben zu haben. Es schafft die Sicherheit, alles im Griff zu haben, den verschiedenen Anforderungen was Gesundheit, Freizeit und Beruf angeht, gerecht zu werden. Es verleiht der komplexen Welt eine gewisse Ordnung. Diese Grundbedürfnis-Befriedigung ist enorm wichtig, wenn wir ein glückliches Leben führen wollen.

Trotz all dieser Vorteile ist wie immer das rechte Maß entscheidend. Wann ist diese Vermessung unterstützend, motivierend und erfüllend? Und wann wird es zum Druck und Zwang? Es lohnt immer wieder zu prüfen, welches Datensammeln nützlich ist und gut tut - und auf was man locker verzichten kann. Im Zweifelsfalle empfehle ich den Verzicht bzw. eine zeitliche Begrenzung.

Ich habe solche Apps von dem Tag an auf ein Minimum reduziert, als mein Partner auf meine Frage, ob wir noch einen Spaziergang machen wollen, zu mir sagte „Willst du ihn machen, weil du Lust drauf hast, oder weil es dir deine App vorschreibt?“.

 

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