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Lernformat: Lernen durch 5 Antworten

wer fragt, steuert den Lernprozess und wer antwortet, lernt!
wer fragt, steuert den Lernprozess und wer antwortet, lernt!

  

Glasige Augen, defokussierter Blick, mechanisches Nicken … die Teilnehmenden sind nur noch als Hülle dabei, aber nicht mehr geistig. Ich habe das auch immer wieder erleben müssen, egal wie interaktiv und involvierend ich die Inhaltsvermittlung gestalte. 

 

Daher bin ich permanent auf der Suche nach neuen Methoden, wie ich diese Seminarphase gestalten kann. Lernen durch Lehren, Lernen durch Quizfragen, Lernen durch Spielen, Lernen durch … alles super Methoden, die ich gerne einsetze.

 

Und jetzt kommt eine weitere in die Methoden-Schatztruhe hinein: Lernen durch 5 Antworten.

Der Grundgedanke und das Beispiel

Welche fünf Fragen muss ich stellen, damit die Teilnehmenden durch die Beantworung genau das Wissen erreichen, das - aus meiner Sicht - notwendig ist. Das Lernen findet also nicht durch Input seitens der Trainierenden statt, sondern durch die Teilnehmenden, indem sie die Antworten suchen und - hoffentlich - finden.

 

Im Rahmen einer Lerncoach-Ausbildung in einem Unternehmen hatte ich die Gelegenheit diese Methode auszuprobieren. Thematisch ging es um Basics zum Aufbau und Funktionsweisen des Gehirns.

 

Wir haben bereits Vorwissen aktiviert, Sinn und Bedeutung geklärt und ein Hirnspiel als Mind Opener gemacht. Nun sollten die Teilnehmenden mit Wissen und Fakten zum Gehirn versorgt werden.  

 

Statt nun einen Input zu geben, wollte ich nur den Rahmen schaffen, damit sich die Teilnehmenden selbst die Inhalte erarbeiten können. Diesen Rahmen bilden 5 Fragen.

Zur Abgrenzung:

Bei den Fragen geht es nicht um …

  • Mind Opener Fragen 
  • Hinführungs- oder Einschätzungsfragen 
  • Vorwissen Abfragen
  • Reflexions Fragen
  • Diskussionsfragen
  • Oder gar Wiederholungsfragen
Sondern eben um Fragen, die durch die Beantwortung den Inhalt abdecken.


Ich habe mir eine Vorgehensweise gebastelt, die ganz gut funktioniert hat:

Schritt 1: Was genau sollen die Lernenden wissen?

Was ist wirklich wichtig, dass die Teilnehmenden wissen, um später das Können entwickeln zu können? Wozu ist das Wissen notwendig? Was machen wir danach damit? Inwiefern erweitert es die Kompetenz - in diesem Falle die des Lerncoachs?

 

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten - je mehr ich jedoch darüber nachdachte, umso schärfer wurde mein Blick auf die Bedeutung des Lernthemas. 

 

Alles, was wichtig war, damit die zukünftigen Lerncoaches (basierend auf dem Gehirn KnowHow) ein Lerncoaching gehirngerecht gestalten, psychologische Sicherheit gewähren, geeignete Methoden wählen und eine passende Coaching Dramaturgie entwickeln können, sollten sie wissen.

Schritt 2: Eindeutiges Wissen oder eines mit Spielraum?

Um das Ganze methodisch gut planen zu können, ist es notwendig festzustellen: wo gibt es Spielraum und wo gibt es ein richtig oder falsch?

 

Bei dem Thema dieses Beispiels gibt es eher wenig Spielraum: das Großhirn hat nun mal andere Aufgaben als das Kleinhirn. Die emotionale Bewertung findet im limbischen System statt und nicht irgendwo anders. Und der Hippocampus hat entscheidende Aufgaben bei der Informationsaufnahme, während das Stammhirn anderes zu erledigen hat. 

 

Wie das Ganze dann umgesetzt wird, dazu gibt es sehr wohl Spielraum: also wie kann im Lerncoaching ein sicherer Rahmen geschaffen werden, damit der Hirnstamm meldet: alles ok! Dementsprechend müssen die Fragen formuliert werden.

Schritt 3: Was sind passende Fragen?

Die Art der Fragen hat m.E. großen Einfluss darauf, wie die Teilnehmenden an diese Aufgabe herangehen - mit Freude und Motivation oder eher mit einer Haltung „wenn es sein muss …“. Fragen sollten interessant und spannend sein und auf keinen Fall wie eine Prüfungsfrage wirken.

 

❌ Statt „Welche Gehirnteile haben welche Aufgaben - findet jeweils mindestens 3!“

✅ Viel besser: „wenn die für das Lernen wichtigsten Hirnteile Personen wären, wie würdet ihr sie beschreiben und darstellen?“

 

❌ Statt: „Welche entscheidende Bedeutung hat der Hippokampus im Kontext Lernen?“

✅ Viel besser: „Was hat ein Seepferdchen im Hirn verloren und was wäre, wenn es nicht da wäre?“

 

Vielleicht stellt sich nun jemand die Frage: warum genau 5 Antworten / Fragen? Eigentlich müsste es maximal fünf Fragen heißen, denn mehr sind ermüdend für den Seminarkontext. Je weniger es sind, desto besser. Bedeutet natürlich, dass ich mir dann umso klarer sein muss, was an KnowHow wirklich wichtig ist. 

Schritt 4: Woher kommen die Antworten?

Das ist sicherlich abhängig von der zur Verfügung stehenden Zeit (je mehr Zeit, umso offener kann das Ganze sein) und von den Rahmenbedingungen (z.B. Prüfungsvorbereitung mit Vorgaben was die Quellen betrifft …).

  • Variante 1: komplett offen lassen. Die Teilnehmenden suchen die Informationen selbst zusammen. 
  • Variante 2: zunächst offen lassen, mit Hinweisen für gute Quellen in einem Umschlag, wenn man nicht richtig fündig wird oder sicher gehen will
  • Variante 3: vorausgewähltes Material / Listen zur Verfüfung stellen
  • Variante 4: nur bestimmte Skripte / Bücher als Quelle zulassen 
In diesem Falle habe ich Variante 2 gewählt.

Schritt 5: Kontrolle und / oder Vertrauen?

Viele Kolleg:innen mögen diese Selbsterarbeitungsmethoden deswegen nicht, weil sie befürchten, dass die Teilnehmenden sich womöglich etwas Falsches beibringen. Bekanntermaßen ist es viel schwieriger etwas Falsches zu verlernen als etwas Neues richtig zu lernen.

 

Hier kommen wir wieder zu Schritt 2 zurück: gibt es überhaupt ein richtig oder falsch? Wenn ja, dann sollte ein frühzeitiges Begleiten und „Blick auf den Prozess werfen“ stattfinden, und nicht erst, wenn alles schon fertig ist.

 

In meinem Falle gibt es leider noch viel Falsches in der Literatur, z.B. dass die Gefühle in der rechten Gehirnhälfte angesiedelt seien. Das ist Kenntnisstand aus den 80er Jahren und hat sich als falsch erwiesen. Es ist mir wichtig, dass dies nicht in den Köpfen verankert wird, sondern gleich richtig erarbeitet wird. 

 

Daher zielt mein Rundgang durch die Gruppen bei dieser Frage immer (auch) auf diesen Inhalt ab. Ich habe sozusagen eine Checkliste im Kopf und prüfe daraufhin den Fortschritt.

 

Grundsätzlich vertraue ich auf die Selbsterarbeitungskompetenzen und begleite sie, damit sie sich nicht verlaufen.

Schritt 6: Ergebnisse präsentieren oder nicht?

Ich komme immer mehr von Plenums-Präsentationen weg, weil sie oft sehr ermüdend für die Gruppe sind und beim Erarbeiten oft das Ziel einer guten Präsentation im Vordergrund steht, und weniger dass der Inhalt gut verstanden wird. 

 

Zudem bin ich bei dieser Methode Fan davon, dass der Lernstoff nicht aufgeteilt wird, sondern dass jede Gruppe dasselbe macht, weil nur dann für alles ein tiefes Verständnis entsteht. Lieber also den Inhalt auf das wirklich wichtige reduzieren.

 

Was ich immer anschließe, ist eine Fragerunde. Wenn ein bestimmter Aspekt nicht 100%ig klar ist, dann kann dieser in die Gruppe gegeben werden. Wir diskutieren und geben unser Verständnis davon hinein. Darüberhinaus gebe ich gerne Zeit, für sich selbst die Inhalte noch einmal passend zusammenzufassen.

Schritt 7: Zeitkalkulation

Sicherlich braucht so eine Form der Erarbeitung mehr Zeit, als wenn ich als Trainer:in den Input gebe. Ich habe für mich den Faktor 3 ermittelt. Wenn ich normalerweise 30 Minuten brauchen würde, braucht es mit dieser Methode ca. 1,5 Stunden, bis alle auf dem gleichen Wissensstand sind. 


Ich gebe eine ungefähre Taktung vor, d.h. beispielsweise 20min für Recherche, 15min für Formulieren der Antworten und 5min abschließende Reflexion.


Ein toller Nebeneffekt ist, dass auf diese Weise auch kooperatives und kollaboratives Lernen geübt werden kann.

Schritt 8: Übergang zur Umsetzung gestalten

Noch sind wir auf der Ebene des WHAT, also auf einer niedrigen Lernziel-Stufe (der des Wissens, Kennens und Verstehens). Das bedeutet ja noch lange nicht, dass man das Wissen auch umsetzen und flexibel anwenden kann. Es hat bisher lediglich die Basis für den Transfer geschaffen

 

Es schließt sich also immer eine Anwendungsphase an. In diesem Falle haben wir gemeinsam überlegt, was dieses Wissen für die Gestaltung des Lerncoachings konkret bedeutet, welchen Einfluss es auf die Wahl der Interventionen hat und welche Bedürfnisse bei den Coachees daraus abzuleiten sind. 

Fazit

Für mich ist das eine schöne Möglichkeit, die Teilnehmenden aktiv in die Wissensaneignung einzubeziehen. Die Erfahrung zeigt, dass sie motiviert, aktiv und v.a. auch mit einem guten Ergebnis dabei sind. 

 

Ich als Trainerin habe in der Vorbereitung zwar deutlich mehr Aufwand, in der Situation selbst bin ich dann eher als Learning Facilitator unterwegs, begleite den Prozess und kümmere mich wenig bis gar nicht um den Inhalt.

 

Der Mehraufwand lohnt sich, denn das Ergebnis spricht eindeutig für sich.


Lust auf Learning Facilitation bekommen? Die beschriebene Methode ist eine aus dem Fundus von Learning Facilitation. Ab Herbst 2023 gibt es eine Seminarreihe dazu. 

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