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Lernformat: Walk and Learn - Tipps für die Durchführung

Walk&Learn ist mehr als Lernen in Bewegung
Walk&Learn ist mehr als Lernen in Bewegung

 

 In den letzten Wochen hatte ich mehrmals die Gelegenheit das Lernformat "Walk&Learn" durchzuführen - mit unterschiedlichen Zielgruppen und aus verschiedenen Anlässen. 

 

Nicht immer hat alles perfekt funktioniert, ich habe von Mal zu Mal dazugelernt. Jetzt habe ich meine Erfahrungen sortiert.

Warum überhaupt im Seminar herumlaufen?

Für mich und für viele meiner Kolleg:innen ist es offensichtlich, weshalb es sich lohnt, ab und zu den Seminarraum zu verlassen und draußen in Bewegung zu lernen oder sich auszutauschen.

 

Und trotzdem ist es gut, sich noch einmal klar zu machen, was der Sinn dahinter ist - denn je überzeugter wir selbst sind, desto überzeugter werden auch die Teilnehmenden sein.

 

An ungewöhnlichen Orten wird das Gelernte besser verankert

Das Gedächtnis kann durch das Nutzen von ungewohnten Orten auf zweierlei Weise profitieren: 


erstens sind Informationen besser abrufbar, wenn ich mir den Ort innerlich hervorrufe, an dem ich sie gelernt habe - wäre er immer der gleiche, dann fiele das sehr schwer (Stichwort KAGL - kontextabhängiges Gedächtnis und Lernen). 

 

Und zweitens bedient ein besonderer Ort nicht nur das semantische Fakten-Gedächtnis, sondern auch das autobiographische. Solch eine Lernerfahrung wird sozusagen zu einem gut erinnerbaren persönlichen Erlebnis.

 

Bewegung des Körpers bringt Bewegung ins Hirn

Körper und Geist beeinflussen sich gegenseitig. Nicht nur persönliche Erfahrung zeigt, dass das Denken in Bewegung schneller und kreativer ist, auch viele Studien deuten darauf hin. Daher lohnt es sich, dies auch aktiv in Trainings und Seminaren zu nutzen.  (Quellen, z.B.: Gehirn&Geist, 1 - 2 / 2013, https://news.stanford.edu/2014/04/24/walking-vs-sitting-042414/)

 

Das Gehirn kann sich in der Natur besser fokussieren

Nicht erst seit ich den sehr interessanten Artikel von "Das Leben des Brain" gelesen habe, war mir klar, dass die Natur eine äußerst positive Auswirkung auf das Gehirn hat. Wenn wir in der Natur sind entspannen wir auf der einen Seite, auf der anderen haben wir dann mehr Kapazitäten frei, um uns auf den Inhalt zu konzentrieren. Um den Effekt nutzen zu können, ist es wichtig, dass wir den zivilisatorischen Raum verlassen (also Straßen etc.)
(Quelle u.a.: https://www.news-medical.net/news/20220908/How-does-a-walk-in-nature-impact-the-brain.aspx, https://www.nationalgeographic.com/magazine/article/call-to-wild)

 

Sicherlich gibt es noch mehr Gründe, dies sind aus meiner Sicht die wichtigsten drei.

Ein klassischer Ablauf von Walk&Talk

ich bin sicher, dass es unzählige Varianten dieses Lernfomates gibt, ich beschreibe hier das, was ich öfter ausprobiert und selbst als Teilnehmerin kennen gelernt habe. Auch wenn sie sich im Detail unterschieden haben, so gibt es eine gemeinsame Struktur.

 

1.) Input, Themen oder Fragen auf Zettel oder Karten schreiben

Je nachdem welches Ziel der Walk&Talk hat (siehe weiter unten), werden sie von den Teilnehmenden selbst gesammelt oder von den Workshopleitenden / Learning Facilitators formuliert. Sie werden auf Zettel oder Karten geschrieben.

 

Wenn es sich um komplexe Themen handelt, ist es hilfreich für jede Gruppe einen Zettel / Beschreibung vorzubereiten.

 

Oft findet diese Phase noch im Seminarraum statt.

 

2.) Die Gruppe macht sich auf den Weg

Als Ort für den Walk&Talk bietet sich ein abwechslungsreicher, für alle gut begehbarer Weg durch die Natur an. Oft ist auch das Gelände rund um die Seminarlocation gut geeignet.

 

Sobald alle am Ausgangspunkt sind, geht es mit der ersten Frage / Thema los.

 

3.) Fragen bzw. Themen ins Spiel bringen

Eine Frage könnte beispielsweise lauten: "wie kann ich sicherstellen, dass ich das Gelernte auch noch in 2 Monaten in der Praxis umsetze."

 

4.) Thinking

Ich bin großer Fan davon, vor dem Austausch in der Gruppe Zeit zu geben, um für sich selbst nachdenken zu können. In aller Regel ist 1min dafür völlig ausreichend.

 

5.) Austauschen, Besprechen 

Die große Gruppe wird in kleine Gruppen à 2-max. 4 Personen aufgeteilt (selbstorganisiert und wechselnd) und diskutiert innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens (hier z.B. 10-15min) die verschiedenen Möglichkeiten.Die Kleingruppen halten ein bisschen Abstand zueinander und gehen los.

 

Sehr gut kann hier auch ein Austausch-Format vorgeschlagen werden. Z.B. jeder sagt zuerst eine Idee, der zugehört wird ohne zu kommentieren. Erst dann wird weiter diskutiert und in den Austausch gegangen. Zum Schluss werden die 1-3 Kernideen auf Karten festgehalten.

 

Das Festhalten auf Karten ist wichtig, um erfolgversprechende Ideen gut zu verankern und um die Runde gedanklich gut abzuschließen.

 

Die Zeitwächterin bzw. der Zeitwächter strukturiert die Zeit, sagt also z.B. 3-5 min vor Ende der Runde an, dass nun die Erkenntnisse festgehalten werden sollen. (Tipp aus der Praxis: nicht den Teilnehmenden die Zeitwache überlassen, die sind oft überfordert mit dieser zusätzlichen Aufgabe). Zeitwächter:innen gehen vorne weg und wenn die erste Runde beendet ist, wird der Arm gehoben, stehengeblieben und alle versammeln sich.

 

6.) (Ver)Sammeln 

Beim Versammeln kann jede Gruppe in max. einer Minute die wichtigste Erkenntnis mit der Gruppe teilen. Die Learning Facilitators sammeln die Moderationskarten ein, um sie für die Dokumentation später aufzubereiten. (Tipp: die Begrenzung auf 1min ist notwendig, weil es sonst einfach zu langatmig wird und da ja alles auf der Tonspur abläuft, wird es für viele sehr anstrengend).

 

7.) Silent Walk zur Konsolidierung

Sehr wichtig ist, nach jeder Runde eine Phase der Konsolidierung, also der inneren Verarbeitung, zu ermöglichen. Als hilfreich hat sich ein "Silent Walk", also das weitere schweigende Gehen, erwiesen. Dauer: 1-2min

 

8.) Nächste Frage / Austausch-Runde

Nach dem Silent Walk geht es weiter mit der nächsten Runde. (Tipp: ich empfehle nicht mehr als 5 Runden zu machen, sonst kommt es zu einem Overload).

 

9.) Abschluss und Verarbeitung

Nach der letzten Runde kann der Walk&Talk beim lockeren Spazierengehen ausklingen. Wenn es danach noch weitergeht, kann im Seminar eine Abschlussrunde gemacht werden, z.B. wie hat man das Format erlebt oder es werden die gesammelten Erkenntnisse visualisiert.

Anlässe für Walk&Learn

Ich finde, es ist wichtig für die Vorbereitung, sich darüber im Klaren zu sein, was der Anlass bzw. das Ziel für dieses Format ist. Eine Kategorisierung kann hier helfen:

 

Kategorie: der Austausch steht im Vordergrund

Immer, wenn eine Reflexion, ein Austausch oder eine Hinführung auf ein Thema auf dem Programm steht, eignet sich ein Walk&Talk sehr gut. Hier steht das gesprochene Wort im Vordergrund, daher ist das unaufwändig  umzusetzen.

 

Kategorie: Neues lernen und abspeichern

Hier wird es schon komplizierter, denn wir alle wissen, dass Inhalte dann besonders gut hängen bleiben, wenn es multisensorische Impulse gibt und dazu gehört nun einmal auch das Visuelle. Ein rollendes Fliphart oder gar eine PPT-Präsentation sind nur sehr schwer zu realisieren (auch wenn ich schon ein tragbares DINA3 Tischflip im Wald aufgestellt habe). 

 

Daher bevorzuge ich (auch hier) das Erarbeiten von Inhalten durch die Teilnehmenden selbst und ich gebe nur Input-Stückchen an die Hand, z.B. auf einem Blatt Papier.

 

Beispielsweise könnte man die Gedächtnisarten nach H.J. Markowitsch anhand eines Mini-DINA3 Flips kurz erläutern, dann die Teilnehmenden in 4 Gruppen (jede Gruppe übernimmt eine Art) aufteilen und sie mit konkreten Fragestellungen in die Erarbeitung gehen lassen. Z.B. „Definition/ Kennzeichen dieser G-Art“. Es darf gegoogelt werden (vorher checken, ob es Telefonnetz gibt), eigene Erfahrungen eingebracht werden etc. 

 

In der nächsten Runde könnte dann gefragt werden: "wie kann in der Praxis diese G-Art bedient werden?" Ergebnisse werden auf verschieden farbigen Karten festgehalten, die dann z.B. auf einer Wiese zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden können.

 

Diese Kategorie erfordert etwas mehr Vorbereitung und auch Nachbereitung - ist aber eine tolle Möglichkeit der Erarbeitung von Inhalten.

 

Kategorie: Kollaboration und kreative Prozesse ankurbeln

Bei Kollaboration geht es ganz oft um das gemeinsame Entwickeln von Maßnahmen, Lernpfaden, Lösungen oder Gestaltung von Veränderung. Dafür sind auch kreative Methoden sehr nützlich.

 

Gut ist, wenn im Methodenkoffer Methoden zu finden sind, die wenig Material brauchen. Eine Pinnwand auf einer Lichtung im Wald ist eher selten zu finden. 

 

Ich habe z.B. einmal das Brainwriting ausprobiert: jede (kleine) Gruppe formuliert eine Idee und gibt sie in gemeinsamer Taktung an die nächste Gruppe weiter. Diese "spinnt" sie weiter, fügt neue Aspekte hinzu und gibt sie dann wiederum weiter. Das geht so lange, bis die Karte wieder bei der Ursprungsgruppe ist. Diese verarbeitet dann die Ideen weiter. 

 

Vielleicht kannst du sogar die Umgebung aktiv mit einbeziehen: z.B. in den nächsten 10min etwas entdecken, was eine Antwort auf die Fragestellung liefert. Lass die Entdeckung abfotografieren (nicht einsammeln).

Der organisatorische Rahmen und Tipps

Am besten eignet sich ein Park, ein See oder ein Wald, der nicht allzu weit weg ist vom Seminarort. Nur in Ausnahmefällen lohnt es sich in Fahrgemeinschaften zu einem ganz anderen Ort zu fahren. Ich persönlich versuche immer, den Weg vorher abzulaufen.

 

Wenn du das Walk&Learn direkt um die Seminarlocation machen möchtest, dann achte darauf, dass du einen möglichst unbeobachtbaren Ort aussuchst. Ich ging mit einer Gruppe mal über einen Campus und wir wurde von allen Seiten neugierig beäugt und viele Teilnehmende wurden begrüßt. Das war ablenkend (und nicht im positiven Sinne des "Learning in Public".) 

 

Schön ist, wenn es ein Weg ist, den man 1-2 Stunden laufen kann, ohne sich ständig im Kreis zu bewegen.

 

Kündige das Format an, damit die Teilnehmenden nicht in Stöckelschuhen kommen, sondern bequemes Schuhwerk, Wasserflaschen und auch mobiles Schreibzeug mitnehmen (z.B. Tablet, Klemmbrett oder Block mit fester Pappe).

 

Habe immer einen Plan B in petto, denn du bist einfach wetterabhängig. Wenn es outdoor nicht geht, brauchst du eine Alternative für drinnen. 

Die Methode reflektieren

Ich hole mir meistens ein Feedback zur Methode ein, denn immer dann, wenn ich persönlich von etwas begeistert bin, blende ich Nachteile gerne aus.

 

Und natürlich: nicht alle finden so etwas toll. Gut, denn so konnte ich immer mehr dazulernen und die Methode verfeinern. 

 

Wenn du Erfahrungen mit Walk&Learn hast, teile sie gerne. Ich bin neugierig. Immer.



Lust auf Learning Facilitation bekommen? Ab Herbst 2023 gibt es eine Seminarreihe dazu 😊

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Kommentare: 1
  • #1

    Gabriel Zelger (Donnerstag, 11 Januar 2024 12:54)

    Ich finde den Artikel gut und sehr empfehlenswert!

    Weiter so